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12. Dezember 2023Die Tätigkeit eines Pool-Arztes zur Deckung des ärztlichen Bereitschaftsdienstes kann sozialversicherungspflichtig sein
Dies wurde im Urteil des Bundessozialgerichts vom 24.10.2023 klargestellt.
Ausgangsfall:
Geklagt hat ein Zahnarzt im Ruhestand, der als Poolarzt Notdienste übernahm, aber selbst nicht mehr an der vertragszahnärztlichen Versorgung teilnahm.
Die KZV betrieb ein Notdienstzentrum, in dem sie personelle und sächliche Mittel zur Verfügung stellte. Der Zahnarzt rechnete seine Leistungen nicht individuell patientenbezogen ab, sondern erhielt ein festes Stundenhonorar.
Der 12. Senat des Bundessozialgerichts entschied, dass allein die Teilnahme am vertragszahnärztlichen Notdienst nicht automatisch zur Annahme einer selbständigen Tätigkeit führt. Vielmehr ist auch dann eine Gesamtabwägung der konkreten Umstände vorzunehmen. Danach war der Kläger wegen seiner Eingliederung in die von der kassenzahnärztlichen Vereinigung organisierten Abläufe beschäftigt. Hierauf hatte er keinen entscheidenden, erst recht keinen unternehmerischen Einfluss. Er fand eine von dritter Seite organisierte Struktur vor, in der er sich fremdbestimmt einfügte. Auch wurde der Kläger unabhängig von konkreten Behandlungen stundenweise bezahlt. Er verfügte nicht über eine Abrechnungsbefugnis, die für das Vertragszahnarztrecht eigentlich typisch ist. Dass der Kläger bei der konkreten medizinischen Behandlung als Zahnarzt frei und eigenverantwortlich handeln konnte, fällt nicht entscheidend ins Gewicht. Infolgedessen unterlag der Zahnarzt bei der vorliegenden Notdiensttätigkeit aufgrund Beschäftigung der Versicherungspflicht.
Welche Konsequenzen hat das Urteil für die vertrags-(zahn)ärztlich tätigen Praxen:
Zunächst hat die KVBW die Zusammenarbeit mit den bisher tätigen Poolärzten kurzfristig beendet „Notbremse“, bis eine dezidierte Begründung zu dem oben genannten Urteil vorliegt. Dies wird möglicherweise einige Monate dauern. Die Reaktion der KVBW auf das Urteil ist verständlich, weil die bisher gelisteten Poolärzte auf freiberuflicher Basis mit der KV abgerechnet hatten. Eine Anstellung bei der KV würde erheblichen Bürokratieaufwand und auch unternehmerisches Risiko für die KV als Arbeitgeber mit sich bringen.
Nun müssen in Ruhe neue Lösungen für das Tätigwerden der Poolärzte gefunden werden, die möglicherweise durch anfallende Sozialversicherungsbeiträge teuer würden.
Die Grundsätze des BSG-Urteils betreffen zwar die Tätigkeit eines Zahnarztes, sind aber auch auf die Poolärzte der KVen übertragbar.
Durch den momentanen Wegfall der Poolärzte bittet die KV um Ihre Mitarbeit und Übernahme der Notdienste durch die Vertragsärzte.
Welche Möglichkeiten gibt es:
Einbeziehung angestellter Ärzte und Weiterbildungsassistenten:
Da diese Ärzte in Ihren Praxen ja ohne hin angestellt sind, können sie den Notdienst für die Praxis übernehmen, hier geht es eventuell um Mehrarbeit, die vergütet werden muss, steuerfreie Sonn- und Feiertagszuschläge können hier genutzt werden.
Beauftragung eines persönlichen Vertreters:
Die bisher schon durchzuführenden Notdiensttätigkeiten wurden teilweise auch schon von Vertretungsärzten durchgeführt. Hierzu gibt es auch Unterstützung durch Vermittlungsstellen. Es ist klarzustellen, dass die Tätigkeit der Vermittlungsstellen, also deren Provision nicht betroffen ist von der Problematik. Diese Vermittlungstätigkeit ist eine von der Bezahlung der Ärzte unabhängige Vergütung, die mit der Problematik als solches nichts zu tun hat.
Es stellt sich aber die wichtige Frage, ob die vermittelten Ärzte und alle anderen fremden Vertretungsärzte nun auch aufgrund des neuen Urteils sozialversicherungspflichtig anzusehen sind. Die Vertreter rechnen bisher freiberuflich mit dem Vertragsarzt ab, der die Notdiensttätigkeit an den Vertretungsarzt abgibt. Hierzu stellen die Vermittlungsfirmen oft Abrechnungsvorlagen zur Verfügung. Dies geschieht auf bisheriger Grundlage der Annahme einer selbständigen Tätigkeit!
Unsere Einschätzung:
Die bisherige Begründung des BSG-Urteils passt möglicherweise auch auf die Beschäftigung der Vertretungsärzte. Die Aufgabe als Vertragsarzt ist es, einen Teil des Notdienstes zu übernehmen. Es gehört also zu seinem Aufgabenbereich als niedergelassener Vertrags(-zahn) arzt.
Nun wird der Vertretungsarzt in ganz engem Rahmen im Auftrag des niedergelassen Arztes tätig:
- Er ist eingegliedert in die Abläufe der von der KV organisierten Struktur, die die KV dem Vertragsarzt zur Verfügung stellt
- Er hat keinen unternehmerischen Einfluss
- Er wird stundenweise bezahlt
- Er ist fremdbestimmt durch die zeitliche Struktur des organisierten Notfalldienstes
Alle Argumente des BSG-Urteils passen auf unseren Vertretungsarzt. Diese Argumente scheinen laut Urteil gewichtiger zu sein als das eigenverantwortliche Handeln im medizinischen Bereich.
Ob das Argument, dass der Vertretungsarzt für mehrere Praxen tätig ist hier ins Gewicht fällt und die sozialversicherungspflichtige Tätigkeit kippt, ist offen!
Daher ist es ratsam, für diese Vertretungsfälle Lösungen zu schaffen:
- Sie stellen für die Vertretung einen Arzt an, eventuell auch kurzfristig oder im Minijob-Modell
- Einbeziehung bisher schon angestellter Ärzte in der Praxis
- Eigene Übernahme der Dienste
Die Anstellung der Ärzte hätte weitreichendere Konsequenten als nur die Sozialversicherungspflicht. Als Arbeitnehmer hat der Vertretungsarzt alle Rechten und Pflichten eines Arbeitnehmers (Krankheit, Urlaub, Mutterschutz, evtl. Kündigungsschutz…). Zudem muss die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherung jedes Mal beantragt werden zu Gunsten der Einzahlung ins Versorgungswerk. (Wenn auch dies nun online funktioniert)
EBefreiung (e-befreiungsantrag.de)
Weiterhin muss der angestellte Vertretungsarzt in den Beitrag zur Berufsgenossenschaft und die Berufshaftpflichtversicherung einbezogen werden.
Wir bitten Sie dringend bei Beauftragung eines persönlichen Vertreters eine Prüfung der Sozialversicherungspflicht durch die Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung durchzuführen. Dann haben Sie für diesen Einzelfall Klarheit.
https://www.deutsche-rentenversicherung.de/SharedDocs/Glossareintraege/DE/C/clearingstelle.html
Sollte die Clearingstelle im Einzelfall zur Beurteilung kommen, dass die Tätigkeit als selbständig anzusehen ist, ergibt sich eine weitere Problematik:
Umsatzsteuer auf die Übernahme von Bereitschaftsdiensten?
Urteil des Finanzgerichts Münster (Az. 15 K 1953/20 U)
Nach Ansicht der Finanzrichter und des Finanzamtes ist das Honorar für die Übernahme eines Dienstes („persönlicher Vertreter“) mit 19 % umsatzsteuerpflichtig, da hier die Freistellung vom Dienst und nicht die Heilbehandlung im Vordergrund steht. Hierzu ist jedoch noch die Revision beim Bundesfinanzhof unter dem Az. XI R 24/23 anhängig. Wer solche Dienste übernimmt und diese nicht über ein Anstellungsverhältnis abrechnet, sollte daher vorsorglich die Honorare um 19 % erhöhen. Wenn die im Grundsatz steuerpflichtigen Umsätze unter 22.000 € pro Kalenderjahr liegen, wird die Umsatzsteuer aufgrund der Kleinunternehmerregelung nicht erhoben, wenn die Praxis keine weiteren umsatzsteuerpflichte Leistungen erbringt.
Fazit:
Es bleibt also spannend und abzuwarten, wie das BSG-Urteil im Detail begründet wird. Selbstverständlich bleiben wir für Sie in dieser Sache am Ball und verfolgen die Entwicklung sehr genau. Es bleibt zu hoffen, dass die Politik sich hier einmischt und sich berufspolitische Sonderregelungen für den Notdienst durchsetzen.